โJetzt nach Steuerbord. Langsam. Nicht zu schnell am Steuerrad drehenโ, Dirk ist sehr nachsichtig mit uns Kapitรคnsneulingen. โEin Boot reagiert nicht so schnell wie ihr es vom Auto gewohnt seid.โ Wir befinden uns mitten auf dem Schwedt-See. Im Hafen von Fรผrstenberg an der Havel haben wir ein Hausboot bezogen und bekommen unsere Einweisung. Dirk ist der Standortleiter von Locaboat in Fรผrstenberg und berechtigt, uns unser โKapitรคnspatent auf Zeitโ auszustellen. Nach ein paar Kreisen, dem Aufstoppen (Anhalten), kommt plรถtzlich die grรถรte Herausforderung auf uns zu. Wir mรผssen wieder zurรผck in den Hafen und dort sicher anlegen โ bestenfalls ohne die anderen Schiffe zu berรผhren. Manchmal ist das rรผckwรคrts Einparken mit dem Auto schon schwierig โ aber mit einem knapp 15 Meter langen Schiff eine echte Herausforderung. Da der Autor dieser Zeilen zuletzt am Steuerrad stand, soll ich diese Herkulesaufgabe bewerkstelligen. Mir steht der Schweiร auf der Stirn, aber mit Dirks Anweisungen und gaaaaanz langsamer Fahrt klappt es wunderbar im ersten Anlauf. Auch, weil meine Mitreisenden als groรartige Crew mit den Tauen bereitsteht und das Schiff im Zweifel auch per Muskelkraft die restlichen Zentimeter an den Steg ziehen kann. Der anschlieรende theoretische Teil (Hinweis- und Verkehrsschilder โ ja, das gibt es auch auf dem Wasser) ist auch ein Klacks.
Unser Zuhause ist ein gut ausgestattetes Hausboot von Locaboat
Die sogenannte Pรฉnichette Flying Bridge von Locaboat ist das Zuhause auf Zeit fรผr unsere kleine Gruppe von vier Freizeitkapitรคnen. Es gehรถrt zu den grรถรten Schiffen, die man mieten kann und bietet Platz fรผr acht Personen in vier Doppelkabinen. Es gibt aber auch Schiffe fรผr die traute Zweisamkeit. Auf unserem Boot ist jede Kabine mit einer eigenen Nasszelle mit Dusche und WC ausgestattet. Eine fรผr ein Schiff erstaunlich groรe Kรผche mit gemeinschaftlichem Aufenthaltsraum laden auch abends zu einem gemรผtlichen Zusammensitzen ein, wenn es an Deck vielleicht schon zu frisch geworden ist. Wir haben bei unserer frรผhherbstlichen Fahrt mit dem Wetter richtig Glรผck, so dass wir tagsรผber immer drauรen an Deck sitzen und dem jeweiligen Kapitรคn am Steuerrad Gesellschaft leisten konnten. Unser Boot verfรผgte nรคmlich รผber zwei Steuereinheiten: Eine an Deck und eine fรผr schlechtes Wetter im Aufenthaltsraum.ย
Kleiner Schreck nach der ersten Kurve
Mit dem Teilnehmer-Nachweis unserer Einweisung in der Tasche legen wir in Fรผrstenberg ab und machen uns auf den Weg zu unserem ersten Ziel: Es geht auf den Stolpsee und in den Hafen von Lychen. Wenn ein Boot mit weniger als 15 PS motorisiert ist, darf es auch ohne Bootsfรผhrerschein nach einer Einweisung gefahren werden. Die Hausboote von Locaboat sind zertifiziert und haben gedrosselte Motoren. Schneller als 10 Km/h kรถnnen wir nicht fahren. Wir sind ganz froh, dass unser erstes Ziel nur etwa drei Stunden Fahrtzeit entfernt ist. So kรถnnen wir uns alle noch ein bisschen eingrooven und trotzdem die schรถne Havel-Landschaft genieรen. Doch dann eine Schrecksekunde: Schon nach der ersten Kurve kommt uns ein kastenartiges Hausboot (โFerienhaus auf dem Wasserโ) entgegen und liegt plรถtzlich quer. Wie gut, dass wir Ausweichmanรถver wรคhrend unserer Einweisung geรผbt haben. Souverรคn fahren wir an dem anderen Boot vorbei.ย
Der Stolpsee ist etwa drei Kilometer lang und wird von der Havel durchflossen. Im Sommer ist er eine beliebte Anlaufstelle fรผr Wassersportler. Dass man hier auch Windsufen kann, merken wir, als wir den Hafen von Lychen erreichen. Unser reservierter Liegeplatz liegt am Auรensteg und wir sollen dort rรผckwรคrts mit dem Heck anlegen. Aber es weht ein so bรถiger Wind รผber den See, dass wir immer am Steg vorbeitreiben. Noch eine Erkenntnis, die sich wie ein roter Faden durch unsere kleiner Reise zieht: Im Hafen hilft man sich gegenseitig. Der Hafenmeister und auch andere Bootsbesitzer sind sofort zur Stelle, fangen unsere Taue und ziehen uns mit Muskelkraft sicher an unseren Liegeplatz.ย
Camping auf dem Wasser
Sรคmtliche Hรคfen auf unserer Reise sind alle mit top-gepflegten sanitรคren Anlagen ausgestattet. Zwar haben wir auf unserem Hausboot in jeder Kabine auch Duschen und eine Toilette, aber da das Schmutzwasser in einem groรen Tank aufgefangen wird, ist uns das Risiko, dass dieser Tank volllรคuft, zu groร. Wir wollen nicht noch anhalten und unser Schmutzwasser abpumpen. Also ziehen wir mit Handtuch und Duschgel bewaffnet รผber den Steg in Richtung Waschrรคume, die auch mal ein Waschcontainer sein kรถnnen. Ein Hausboot-Urlaub ist ein wenig so wie Camping – nur eben auf dem Wasser.
Nach dem ersten Tag auf See, fallen wir alle schon relativ frรผh am Abend in unsere Kojen und lassen uns von den leichten Wellen in den Schlaf schaukeln. Der nรคchste Tag wird aufregend: Wir wollen nรคmlich dem Weihnachtsmann einen Besuch abstatten.
Vor der Abfahrt in Fรผrstenberg haben wir unsere Kรผche gut bestรผckt. Der Kรผhlschrank ist voll, so dass wir an unserem ersten Morgen schon vom Duft frischen Kaffees und Brรถtchen aus dem Ofen geweckt werden. Alte Bootsregel: Wer zuerst wach wird, kocht Kaffee. Obwohl die Betten naturgemรคร nicht groร und breit waren, haben wir alle sehr gut geschlafen. Nach einem guten Frรผhstรผck heiรt es Leinen los. Wir legen ab und machen uns auf den Weg nach Himmelpfort zum Weihnachtsmann.
Schleusen? Fรผr uns doch kein Problem
Zwischen uns und dem Weihnachtsmann liegt allerding noch eine Herausforderung: Unsere erste Schleuse. Die Regeln an den Schleusen sind einfach. Ist das Tor geschlossen und zeigt die Ampel auf Rot, legt man kurz an, betรคtigt einen Hebel und wartet bis die Ampel auf Grรผn umspringt. Langsam fรคhrt man dann in das Schleusenbecken ein, macht das Boot fest und betรคtigt wieder einen Hebel โ das Schleusen funktioniert vollautomatisch. Da unsere Pรฉnichette auch mit einem Bugstrahlruder ausgestattet ist, lรคsst sie sich leicht steuern und so sind auch die etwas engeren Schleusen fรผr uns Freizeitkapitรคne kein Problem.
Wie wohnt der Weihnachtsmann?
Um kurz nach 10 Uhr klingeln wir schon beim Weihnachtsmann an der Tรผr. Leider war er nicht zu Hause, aber seine gute Stube konnten wir besichtigen. Eingebettet zwischen Seen und Wรคldern und in unmittelbarer Nรคhe von Klosterkirche, Krรคutergarten, Schleuse und historischem Brauhaus, findet man das Cafรฉ mit Biergarten im Gebรคude der alten Dorfschule. Hier ist auch der Weihnachtsmann zu Hause und seine Wohnstube kann tรคglich zwischen 10 und 18 Uhr kostenlos besichtigt werden. Fรผr die Wunschzettel gibt es eigene Briefkรคsten.
Die Geschichte des Weihnachtsmanns in Himmelpfort reicht bis ins Jahr 1984 zurรผck. Damals schrieben zwei Kinder aus Sachsen und Berlin an den Weihnachtsmann in Himmelpfort. Eine Postmitarbeiterin wollte die Briefe nicht als โunzustellbarโ zurรผckschicken und schrieb selbst eine Antwort. Mittlerweile kommen in der Vorweihnachtszeit bis zu 2000 Briefe tรคglich in Himmelpfort an. 20 Helferinnen unterstรผtzen den Weihnachtsmann mittlerweile bei der Beantwortung der Briefe.
รbernachtung in der „Wildnis“
Nach einem Mittagessen in einem Restaurant mit Seeblick und – natรผrlich – fangfrischem Fisch, machen wir uns auf den Weg zu unserem nรคchsten Stopp: Die Schleuse Regow. Hier wollen wir uns auf ein weiteres Abenteuer einlassen. Mitten in der Wildnis vor der Schleuse wollen wir unser Locaboat fest vertรคuen รผber Nacht liegenbleiben. Mitten in der Wildnis ist natรผrlich etwas รผbertrieben. Liegt doch der Capriolenhof (www.capriolenhof.de) in der unmittelbaren Nachbarschaft. Sabine Denell und Hans-Peter Dill entdeckten die Gebรคude 1992 bei einer Wanderung und konnten den Hof direkt an der Schleuse pachten. Heute leben auf dem Capriolenhof neben Schweinen und Kรผhen auch knapp 200 Ziegen.
Das Ehepaar begann, Ziegenkรคse herzustellen, den sie unter anderem an die Bootstouristen verkauften. Auch wir haben uns in dem kleinen Hofladen mit kรถstlichem Ziegenkรคse eingedeckt und geniessen unser besonderes Abendessen an Bord. Nach dem Essen noch auf der Schleuse ein bisschen die Beine vertreten? Lieber nicht โ hat uns doch Sabine von den Wรถlfen erzรคhlt, die hier schon gesichtet wurden. Sollte sich nachts ein Wolf unser Boot aus der Nรคhe angeschaut haben, haben wir nichts davon mitbekommen.
Mit Fabian durch die zauberhafte Landschaft
Souverรคn passieren wir am nรคchsten Morgen nach einem erfrischenden Frรผhstรผck die Schleuse Regow und haben schon auf unsere letzte Etappe gemacht. Wir fahren auf der Havel weiter durch Wรคlder, Wiesen und Moorlandschaften, passieren kleiner Dรถrfer, grรผรen andere Bootstouristen andรคchtig. Ja, man entschleunigt auf einem Hausboot. Einen neuen Freund haben wir auch gefunden. Fabian nennen wir ihn โ unseren Graureiher. Wir sind uns allerdings alle nicht sicher, ob es immer derselbe ist, der schon hinter jeder Kurve auf uns wartet.ย
Zum Abschluss in den Ziegeleipark
Nach etwa zwei Stunden Fahrt erreichen wir schon unseren letzten Hafen Mildenberg. Ursprรผnglich war geplant, bis nach Templin zu fahren. Aber da eine Schleuse wegen Reparaturarbeiten gesperrt ist, verbrachten wir den letzten Abend hier in Mildenberg, einem Ortsteil von Zehendick im Landkreis Oberhavel in Brandenburg. Hier war einst das grรถรte Ziegeleirevier Europas. Ziegel fรผr den Hรคuserbau wurden von hier einst in die ganze Welt verschifft. Heute zeugt das Industrie- und Technik-Museum Ziegeleipark Mildenberg von der glorreichen Geschichte und gibt einen faszinierenden Einblick in die Geschichte der ganzen Region. Auf einer Flรคche von รผber 40 Hektar wird die Geschichte der Ziegelproduktion in Fรผhrungen und multimedialen Attraktionen prรคsentiert. Die Ausstellungen sind interaktiv erlebbar, man kann sogar durch die alten Ringรถfen spazieren. Ein erlebnisreicher Abschluss unserer Bootstour auf der Havel durch Brandenburg (www.ziegeleipark.de).
Fรผr unsere Reise mit dem Locaboat-Hausboot haben wir unsere Tagesetappen ganz bewusst kurz geplant und uns der Langsamkeit verschrieben. So konnten wir intensiv die schรถne Natur rechts und links der Havel genieรen und das Leben auf dem Boot genieรen.ย ย
Weitere Sehenswรผrdigkeiten auf unserer Tour
Fรผrstenberg
Auch unser Start Fรผrstenberg lohnt sich fรผr einen Ausflug. Die Stadt liegt am oder besser im Fluss, denn die Havel durchflieรt sie gleich in vier Flusslรคufen. Das groรe Werder ist die Insel, auf der die Stadt einst entstand, wird vom sรผdlichen Kanal mit der Schleuse und dem nรถrdlichen Havellauf begrenzt. โFรผrstenberger Werderโ heiรt auch der einst von Brandenburg-Preuรen begrenzte Landzipfel, der รคhnlich dem heutigen Stadtgebiet weit in den Sรผden reichte. Schon seit 2002 ist der offizielle Name der Stadt auch โWasserstadt Fรผrstenberg/Havelโ. www.fuerstenberg-havel.de
Der Stolpsee
Rund um den Stolpsee, der von der Havel durchflossen wird, kommen nicht nur Wassersportfans auf ihre Kosten, sondern es gibt auch viele Wandermรถglichkeiten. Dabei sind viele Strecken auch fรผr Anfรคnger geeignet. Ebenso ist der Stolpsee ein Paradies fรผr Angler. Wer auf alledem keine Lust hat, lรคsst vom Hausboot aus einfach die Fรผรe entspannt ins Wasser baumeln oder springt direkt zum Baden in den See.
Flรถรereimuseum Lychen
Die Flรถรerei hat in Lychen eine besondere lange Tradition. Der Flรถรerverein Lychen e.V. hat es sich zur Aufgabe gemacht, diese Tradition zu wahren und an Interessierte weiterzugeben. In einem kleinen Museum erfahren Besucher, was es bedeutet, ein Flรถรer zu sein und mรคchtige Baumstรคmme unter den widrigsten Bedingungen flussabwรคrts bis nach Hamburg oder Berlin in einem Floรverband zu transportieren. Auch Floรfahrten bietet der Flรถรerverein von Mai bis Mitte September an. 2008 wurde Lychen als dritter Ort in Deutschland mit dem Titel โInternationale Flรถรerstadtโ gewรผrdigt. www.lychen.de
Choco-Pizza in Himmelpfort
Sylke Wienhold betreibt die Chocolaterie in Himmelpfort. Damit Groร und Klein mit Schokolade auch etwas basteln kรถnnen, hat sie die Choco-Pizza erfunden. Die Pizzabรคcker suchen sich an einer Station diverse Zutaten aus, mit der die Pizza (zur Wahl stehen Vollmilch-, Zartbitter- oder weiรe Schokolade) bestreut werden soll. Die Pizza kommt in Form eines herrlich duftenden runden Kleckses geschmolzener Schokolade. Nachdem die Choco-Pizza mehr oder weniger kreativ belegt wurde, kommt sie fรผr 20 Minuten in den Kรผhlschrank und fertig ist ein selbst gebasteltes originelles Mitbringsel aus Himmelpfort. Tipp: Die selbst hergestellte Schokocreme als Brotaufstrich โ himmlisch! www.himmelpforter-chocolatierie.de
Anmerkung der Redaktion: Diese Reise wurde unterstรผtzt von Locaboat. Unsere Berichterstattung ist uns in ihrer Unabhรคngigkeit und Neutralitรคt besonders wichtig. Die Meinungen, Eindrรผcke und Erfahrungen der Autoren spiegeln ihre persรถnlichen Ansichten wider.