zu sehen ist die Skyline von Shanghai von Wasser aus.
Die Skyline von Shanghai ist beeindruckend. ยฉ Robert Klages

Peking-Ente in Shanghai โ€“ Tradition und Moderne

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Erstellt von: Robert Klages

Im dicht besiedelten Sรผdchina werden Stรคdte mit unter 100.000 Einwohnern als Dorf bezeichnet. Es gibt einige Metropolen mit fรผnf bis 13 Millionen Menschen: Yangzhou, Nanjing, Changzhou, Suzhouโ€ฆ um nur ein paar zu nennen, die in Europa zu den grรถรŸten zรคhlen wรผrden. Manche Bewohner der Metropole Shanghai nennen sogar Peking mit seinen fast 22 Millionen Einwohnern ein „Dorf“ โ€“ etwas abschรคtzig und mit einem Augenzwinkern natรผrlich, denn obwohl Peking die Hauptstadt ist, liegt es in Nordchina. Shanghai und der Sรผden gelten als fortschrittlicher, westlicher, europรคischer. Shanghai ist mit seinen fast 30 Millionen Bรผrgerinnen und Bรผrgern die drittgrรถรŸte Stadt der Welt nach Delhi und Tokio. Wir machen uns auf in diese faszinierende Metropole in genieรŸen auch eine Peking-Ente in Shanghai.

Luftaufnahme der Skyline von Shanghai, die den Huangpu-Fluss, den Oriental Pearl Tower und umliegende Wolkenkratzer zeigt, aufgenommen vom Shanghai Tower.
Ein atemberaubender Blick auf die Skyline von Shanghai vom Shanghai Tower aus, mit Blick auf den Huangpu-Fluss und den Oriental Pearl Tower. ยฉ Robert Klages

Kein Durchkommen mit dem Auto

Soweit zu den GrรถรŸenverhรคltnissen, die sich in monumentalen und blitzeblanken Wolkenkratzern sowie fรผnfspurigen StraรŸen รคuรŸern. Ein Arbeitsweg von zwei Stunden ist normal in Shanghai. Mit dem Auto ist oftmals kein Durchkommen mehr von den AuรŸenbezirken bis in die Innenstadt. Zudem kรถnnen sich viele kein Auto leisten beziehungsweise erhalten keine Genehmigung. Die StraรŸen sind videoรผberwacht, jedes Auto wird gescannt. Wenn es zu voll ist, werden StraรŸen oder ganze Blocks gesperrt. Die Regierung will Stau und Smog vermeiden. Letzterer hat sich dank E-Mobilitรคt in Shanghai massiv vermindert.

Die tรคglichen Herausforderungen des Stadtlebens

Viele nehmen die langen Wege mit Humor: „Wir fahren jeden Tag mit BMW zur Arbeit“, so ein gรคngiger Witz โ€“ „BMW“ steht fรผr Bus-Metro-Walk. Wohnungen im Zentrum sind so gut wie unbezahlbar. Viele alte Gebรคude werden abgerissen, um Platz fรผr noch mehr Hochhรคuser zu schaffen, Bรผros sowie Wohnungen. Geschรคftiges Treiben in der Hitze, rennende Kinder, hupende Mopeds, schreiende Kleinverkรคufer, ein Autounfall, der dann doch zu Stau fรผhrt. Keine 300 Meter weiter, in einem von Hochhรคusern umsรคumten Park, steht Huang Lixiong still im Schatten der Bambusbรคume. Er atmet tief ein, stรถรŸt mit den Hรคnden nach vorne, als wรผrde er die Luft wegdrรผcken, atmet aus. Der GroรŸmeister des Taijiquan, einer der รคltesten Formen des Tai-Chi, wiederholt die รœbung, seine Schรผlerinnen und Schรผler machen es ihm nach. Es ist ruhig, man hรถrt die Gruppe unisono ausatmen, etwas Wind durch den Bambus drรผcken.

Schattenboxen als Ausgleich zum GroรŸstadtleben

„Schattenboxen“, ist, wie so viele Kampfkรผnste, ein Ausgleichssport fรผr GroรŸstรคdter geworden. Es geht nicht mehr ums Verteidigen, Verletzten oder Gewinnen, sondern um Entspannung, Loslassen und Energiegewinnung. Eine Art Yoga, Bewegungslehre, Gymnastik. Die zahlreichen Rentner im Park positionieren sich und ziehen ihre linken Arme langsam und angespannt nach oben. 83 รœbungen machen sie innerhalb einer Stunde.

Ein Taijiquan-GroรŸmeister fรผhrt eine Tai-Chi-รœbung in einem Bambuswald in Shanghai aus.
GroรŸmeister Huang Lixiong beim Taijiquan im ruhigen Bambuswald von Shanghai. ยฉ Robert Klages

Huang Lixiong ist seit seiner Kindheit begeisterter Schรผler der Kampfkรผnste, besitzt den sechsten Dan. Vermutlich kรถnnte er einen jeden hier mit einfachen Handgriffen zu Boden strecken. Stattdessen erlรคutert er Atemtechniken, die zu innerer Ruhe fรผhren sollen. Je grรถรŸer die Stadt, umso wichtiger die innere Ausgeglichenheit. Ying und Yang. „Weiche Bewegungen schaffen etwas Hartes, um etwas Schweres zu bewegen und zu besiegen“, erklรคrt der GroรŸmeister philosophisch. Am Ende verneigt er sich, so langsam und bedรคchtig, dass wir die Stadt um uns vergessen.

Die Stadt der Superlative: Shanghai von oben

Doch jรคh ist sie wieder da, die Stadt der Superlative: Es geht hoch hinaus auf den Shanghai-Tower, der bei Errichtung im Jahre 2013 mit 632 Metern auf 128 Etagen das hรถchste Gebรคude der Welt war. Unterdessen wurden mit dem Burj Khalifa in Dubai (828 Meter) und dem Merdeka 118 in Kuala Lumpur (679 Meter) hรถhere Gebรคude errichtet. Trotzdem lรคsst sich in Shanghai damit das dritthรถchste Bier der Welt in einem Gebรคude trinken und dabei die atemberaubende Skyline von oben betrachten. Zum Beispiel der Shanghai World Financial Center, der wie ein Flaschenรถffner aussieht. Oder der Oriental Pearl Tower aus dem Jahre 1991, ein Fernsehturm, der dem in Berlin รคhnelt, allerdings genau 100 Meter hรถher ist und gleich zwei Kugeln hat.

Kunst und Design in Tianzifang

Bei so viel Hรถhe braucht es wieder Ausgleich. Am Nachmittag fahren wir ins Kรผnstlerviertel Tianzifang, ehemalige franzรถsische Konzession, und flanieren durch die engen Gassen voll mit Designern, Galerien, Boutiquen und Imbissen. Kรผnstler verkaufen Plastikkaninchen in allen mรถglichen grellen Farben, genauso bunt wie der Bubble Tea zwei Meter weiter oder das „Second Hand“-Geschรคft mit Mode aus einem Europa der 60er-Jahre, allerdings nachgemacht. Schnell verliert man hier die Orientierung.

Eine enge Gasse im Tianzifang-Viertel von Shanghai, mit Bars, internationalen Fahnen und kleinen Geschรคften.
Das kreative Kรผnstlerviertel Tianzifang in Shanghai mit internationalen Einflรผssen und belebten Gassen. ยฉ Robert Klages

Der Tee als Kunstwerk

AnschlieรŸend wird Tee serviert. Grace Hu ist seit dreiรŸig Jahren Designerin in Shanghai und hat 2023 „Qushui Space“ erรถffnet, eine Mischung aus Kunstraum und Teeladen. Auf Miniaturbooten, die auf einer schmalen WasserstraรŸe durch den Raum schippern, wird grรผner und schwarzer Tee serviert, jede Sorte von Kรผnstlerinnen und Kรผnstlern „designt“. Wasser symbolisiere in China Geld, sagt Grace Hu. Das flieรŸende Wasser bedeute, es sei alles in Ordnung, der Fluss des Geldes funktioniere. Und das sei beruhigend.

Teekunst trifft Tradition

Zu jedem Tee wird eine Geschichte รผber seine Herkunft erzรคhlt. Die Szene der „Tee-Kรผnstler“ ist groรŸ, sie formen fermentierte Blรคtter zu Kunstwerken. Viel Arbeit, nur, um die Werke dann mit heiรŸem Wasser aufzugieรŸen und zu trinken. Aber so ist er, der Fluss des Geldes, er steht niemals still. Die Werke kรถnnen in kleinen Glรคsern gekauft werden.

Das Teetrinkritual „Qu Shui Gob“ verbindet moderne Lifestyle-ร„sthetik und traditionelle Kultur. Frรผher haben die Philosophen am Fluss gesessen und sich kleine Boote mit Tee oder Wein zugeschickt. Diese Tradition ahmt Grace Hu nach. Auf ihren Schiffchen sind kleine Figรผrchen angebracht: chinesische Persรถnlichkeiten, Maler, Kรผnstler, Philosophen.

Eine Frau fรผhrt eine traditionelle Teezeremonie in einem modernen Kunstraum in Shanghai durch, wรคhrend andere Gรคste zusehen.
Eine Teezeremonie unter der Leitung der Kรผnstlerin Grace Hu in einem modernen Kunstraum in Shanghai. ยฉ Robert Klages.

AuรŸerdem zeigt Grace Hu ihre Einzelausstellung „Empty Mountain, Wishing for Rain“ mit traditioneller Tusche. „Shanghai ist eine groรŸartige Stadt fรผr Kรผnstler“, sagt sie und lรคchelt. Als Designerin macht sie vor allem Schmuck, hat einen riesigen Showroom und exportiert in viele Lรคnder. Vor ihrem Teekunstgeschรคft steht ein Baum aus Plastik โ€“ auch das eine Anspielung auf die Traditionen. Denn, so erzรคhlt Grace Hu, sprechen viele Chinesinnen und Chinesen mit Bรคumen beziehungsweise klagen ihr Leid in Baumlรถcher. Das soll dafรผr sorgen, dass die Sorgen verschwinden. In Hus Plastikbaum sind Bildschirme installiert, die Szenen aus alten asiatischen Filmen in Dauerschleife abspielen. Moderne Kunst eben.

Peking-Ente in Shanghai: Eine kulinarische Kunst

Eine groรŸe Kunst in China ist das Essen. Moderne Peking-Ente gibt es natรผrlich auch in Shanghai. Auf einem runden, sich drehenden Glastisch werden zunรคchst allerlei Vorspeisen serviert. Mit Stรคbchen schnappt man sich etwas herunter auf den eigenen Teller. Die Tischordnung: die Stรคbchen, die nรคher am Teller liegen, nimmt man zum Essen. Mit den anderen, meist dunkleren, holt man sich etwas vom Drehtisch.

Eine Hand isst Pommes mit Stรคbchen an einem runden Esstisch, der westliche und chinesische Elemente vereint.
Pommes mit Stรคbchen: Ein humorvoller Mix aus westlichem Essen und chinesischer Esskultur in Shanghai. ยฉ Robert Klages

Dann wird die gold glรคnzende Ente gebracht. Der Koch tranchiert sie, als sei es etwas Heiliges. Es ist vollkommen anders als Peking-Ente in Deutschland: Kleine Stรผcke mit zartem Fleisch und die marinierte Haut, knusprig sรผรŸ wie Zuckerwรผrfel, werden zusammen mit schmalen Scheiben Sellerie, Karotte oder anderem Gemรผse in eine Hoisin-Sauce sowie Malzzucker getunkt (mit Stรคbchen) und in hauchdรผnne Pfannkuchen gelegt, zusammengerollt und verzehrt (mit den Hรคnden). Diese Prozedur wird mehrfach wiederholt. Reis spielt in der gehobenen chinesischen Kรผche so gut wie keine Rolle mehr und wird lediglich auf Anfrage serviert.

Mehr Informationen รผber die kulinarische Szene Shanghais.

Ein Ausflug ins Venedig Chinas

Genug Moderne, Kunst und GroรŸstadt. Am nรคchsten Tag geht es in die Wasserstadt Wuzhen, 120 Kilometer vom Zentrum Shanghais entfernt. Das Venedig Chinas bietet Kanรคle mit Hรคusern an beiden Seiten, steinerne Bogenbrรผcken und Ruderboote aus einer รผber 6.000-jรคhrigen Geschichte. Seit Anfang der 1990er-Jahre werden die historischen Gebรคude restauriert. Mit gerade mal 84.000 Einwohnerinnen und Einwohnern wird Wuzhen natรผrlich als Dorf bezeichnet. In den Hinterhรถfen der Holzhรคuser finden sich zwischen den engen Gassen einige Attraktionen wie eine Reisschnaps-Brennerei, ein Seidenhandel, ein Bettenmuseum oder eine Weberei, in der Mitarbeiterinnen das traditionelle Handwerk prรคsentieren.

Ein traditionelles chinesisches Ruderboot fรคhrt durch die WasserstraรŸen der historischen Stadt Wuzhen, gesรคumt von alten Hรคusern
Die malerische Wasserstadt Wuzhen, das ‚Venedig Chinas‘, mit traditionellen Hรคusern entlang der Kanรคle. ยฉ Robert Klages

An einem Hafen hรคngt ein Mann an einer langen Bambusstange, die sich รผber das Wasser biegt. Er hรคlt sich nur mit dem Hals fest, breitet die Arme aus, hรคlt inne, schwingt sich dann wieder herum und vollfรผhrt tollkรผhne Akrobatik. Die zahlreichen Touristinnen und Touristen starren nach oben und applaudieren. Nicht die einzige Show, die hier tรคglich geboten wird. Kung Fu auf Schiffen gehรถrt zum Abendprogramm. Wenn die Sonne untergeht, gehen in Wuzhen die Flaschen auf. Zahlreiche Restaurants und Bars laden zum Verweilen am Fluss ein, es wird ruhig, das Wasser still, das Licht gedimmt. Hier und da dringt Lachen aus einer Karaokebar.


Anmerkung der Redaktion:ย Diese Reise wurde unterstรผtzt von Gebeco Reisen. Unsere Berichterstattung ist uns in ihrer Unabhรคngigkeit und Neutralitรคt besonders wichtig. Die Meinungen, Eindrรผcke und Erfahrungen der Autoren spiegeln ihre persรถnlichen Ansichten wider.

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