Reichtum, Ruinen, Renaissance – Detroit, die einstige Auto-Metropole, hat sich in den letzten Jahren neu erfunden und begeistert mit einer einzigartigen Mischung aus Geschichte, Kultur und Kreativität. Von ikonischen Art-déco-Bauten wie dem Guardian Building bis hin zur pulsierenden Musikszene des legendären Motown Museums – die Stadt verbindet Vergangenheit und Zukunft auf faszinierende Weise. Street Art, innovative Restaurants und eine lebendige Kunstszene machen Detroit zu einem spannenden Reiseziel für Entdecker.
Wenn man durch das Zentrum von Detroit einen roten Faden ziehen würde, würden sich daran zahlreiche architektonische Perlen aufreihen. Als die Stadt durch die Autoindustrie, sprich die drei Giganten Ford, General Motors und Chrysler, von Anfang bis Mitte des 20. Jahrhunderts einen Boom erlebte, wurden Ehrgeiz, Geld und Visionen ganz besonders in Form von Wolkenkratzern in Szene gesetzt. Das Guardian Building (die sogenannte „Kathedrale der Finanzen“), das David Whitney Building, das Fisher Building und die Michigan Central Station sind (Art déco-)Zeugen einer Zeit, in der Detroit nicht nur die fünftgrößte Stadt der USA war, sondern vor allem auch die reichste.
Detroit: Eine Stadt, die sich neu erfand
Mit damals rund 1,8 Millionen Einwohnern brachte die Entwicklung des Ford Verbrennungsmotors und später die des Fließbands, die eine Massenproduktion von Autos ermöglichte, viel Kapital und Arbeitskräfte in die Metropole. Doch genauso wie Glanz und Gloria kamen, zogen sie in den 60er und 70er Jahren auch wieder dahin. Autos wurden günstiger und in kleineren Varianten in Japan und Deutschland hergestellt, die Ölkrise trieb die Preise in die Höhe und das Leben in der Stadt wurde unerschwinglich. Jahrzehnte des Verfalls malten ein Stadtbild, das grau und an vielen Stellen verwahrlost daherkam. 2013 erlebte die einst stolze Motor City ihren Tiefpunkt: Sie meldete Konkurs an. Es war das größte kommunale Insolvenzverfahren der Geschichte Amerikas. Aber – und das ist der Grund, warum „The D“ ebenso wie ihre Bewohner als resilient und kämpferisch beschrieben werden – das Verfahren wurde relativ schnell wieder beendet. Wer heute nach Detroit fährt, erlebt einen Ort, der eine Vision hat. Natürlich wird die nicht von heute auf morgen umgesetzt. Aber mit so vielen kleinen Erfolgen, dass der Glaube an eine Welt voller Möglichkeiten bestehen bleibt.
Einer der wohl beeindruckendsten Beweise, dass Detroit nach vorne guckt, ist die Michigan Central Station. 1913 wurde sie im Beaux-Arts-Stil erbaut und war bis 1988 in Betrieb. In den Jahren des Niedergangs blieb ihr Körper eher schlecht als recht bestehen, doch ihre Seele verließ den einst wunderschönen Bau. Die Ford Motor Company, im wahrsten Sinne des Wortes Antrieb für die Renaissance der Stadt, und Michigan Central verantworten das Restaurierungsprojekt und hauchen dem Bahnhof, der von William Vanderbilt geplant wurde und die „Schwester“ der Grand Central Station in New York sein sollte, nun wieder Leben ein. Mark de la Vergne, der sich um das Thema Mobilität in der Stadt Detroit kümmert, kennt den Bahnhof wie seine Westentasche. 34 Jahre stand das Gebäude leer, wenn nicht gerade illegale Partys gefeiert, er als kostenloser „Übergangswohnraum“ oder Leinwand für Graffiti genutzt wurde. „Es ist unglaublich, was die Handwerker hier leisten“, schwärmt de la Vergne. Die Detailarbeit, mit der jeder Raum und jede historische Struktur restauriert wird, hat auch die ersten Gäste beeindruckt, die im Mai 2024 zur Wiedereröffnung mit einem großen Gartenkonzert geladen wurde. Zu besichtigen ist aktuell das Erdgeschoss mit zahlreichen Infotafeln und Memorabilia, die im Rahmen der Renovierung gefunden wurden. „Wir versuchen, so nah wie möglich am prunkvollen Original zu bleiben“, sagt der Experte. Nur eine kleine unbehandelte, von Graffiti und Staub verschmutzte Stelle, versteckt hinter einer Treppe, erinnert an die weniger glanzvollen Tage.
Der kleine Graffiti-Ausschnitt steht symbolisch für viele Ecken in Detroit. Zahlreiche Fassaden wurden bereits in ihren prachtvollen Ursprungszustand zurückversetzt und beheimaten Luxushotels wie das Shinola Hotel (ehemals Singer Building), das Roost Detroit im Book Tower oder das David Whitney Hotel im David Whitney Building. Aber vielerorts findet man auch noch Gebäude, denen man die bewegte Vergangenheit auf den ersten Blick ansieht.
Das bedeutet allerdings nicht, dass es ihnen an Charme fehlt. John K. King Books beißt sich in seinem Block als Einzelkämpfer durch die Jahrzehnte. 1983 kaufte John K. King ein verwahrlostes Gebäude in Downtown Detroit und schuf damit eine Heimat für mehr als eine Million gebrauchter Bücher. Das Labyrinth an unzähligen, deckenhohen Regalen führt vom Thema Michigan History über Psychologie, Theater und Film bis hin zu Sci-Fi & Fantasie. Verstaubt, überwältigend, mit knatschenden, schiefen Böden und handgeschriebenen Weg- und Buchweisern ist der Store eine Oase für Bücherliebhaber – und alle, die sich gerne in Geschichten verlieren. Die Zeit scheint hier stillzustehen.
Untypisch für die Renaissance der Stadt. Seiner Zeit einen Schritt voraus, so wie es auch Henry Ford war, der wohl einflussreichste Mann in der Geschichte Detroits, sind Nadia Nijimbere und Hamissi Mamba. Die Ehe- und Geschäftspartner flüchteten aus Burundi und „wurden mit offenen Armen empfangen. Der amerikanische Traum erfüllt sich nur in Detroit“, behauptet Hamissi. In ihrem Restaurant Baobab Fare, das früher eine Apotheke war und fünfzehn Jahre leer stand, servieren sie typische Gerichte aus ihrer Heimat und praktizieren „slow food“.
Motown ist Musik für die Seele
Auch Berry Gordy hatte zu seiner Zeit den Ehrgeiz, etwas Neues, Großes zu schaffen. Er gründete 1960 das Label „Motown” (eine Referenz an Detroit durch die Zusammenführung der Wörter „Motor” und „Town”) und machte das kleine Haus auf dem West Grand Boulevard zur ersten Adresse für Soul Musik. Und zur Heimat von Michael Jackson und den Jackson 5, Diana Ross und den Supremes, Lionel Richie, Smokey Robinson und vielen anderen Künstlern. Das Studio, dem auch Berry Gordys Apartment angegliedert war, wurde 1978 zur historischen Stätte erklärt und in das Motown Museum verwandelt.
Weniger Soul, aber mindestens genauso viel Taktgefühl beweist Eminem, Rapper, Songwriter und Produzent. Auch er stammt aus Detroit und widmete seiner Heimat sogar den Film und Soundtrack „8 Mile”. Der Titel bezieht sich auf die Distanz von acht Meilen zwischen dem Zentrum, definiert als die Kreuzung zwischen Woodward und Michigan Avenue, und der nördlichen Grenze, die eben 12,8748 Kilometer davon entfernt ist. Fans von Elektroklängen sollte zudem bekannt sein, dass die Geburtsstätte der Technomusik ebenfalls Detroit ist.
Eine Führung duch das Detroit Institute of Arts
Eine Vorreiterfunktion im künstlerischen Bereich hat das Detroit Institute of Arts (DIA). Die ehemalige Lehrerin Gabriele Sander-Meyer ist eine von vielen Freiwilligen, die – vor allem deutsche Besucher – durch die Hallen des Kunstinstitution führt. Mit mehr als 65.000 Werken ist das DIA in der Museums-Top Sechs in Amerika. In der Blütezeit der Stadt bezog das 1885 gegründete DIA 1927 seine jetzigen Räumlichkeiten auf der Woodward Avenue, die als „Tempel der Kunst” bezeichnet werden.
Eins der wohl beeindruckendsten Werke des Museums sind die auf vier Wänden zu sehenden „Detroit Industry Murals” im Rivera Court, die Diego M. Rivera zwischen 1932 und 1933 anfertigte. Das Meisterwerk des mexikanischen Künstlers, das von der Ford-Familie beauftragt wurde, sollte die industrielle Macht Detroits widerspiegeln und ihren Einfluss auf die Gestaltung der modernen Welt zelebrieren. Allerdings ließ es sich Riviera nicht nehmen, jede Menge Symbolik auf die Wände zu bringen, darunter durchaus kritische Momente zwischen Mensch und Maschine, Arbeiterklasse und reichen Industriellen.
Eine Töpferei als National Historic Landmark
Zu den Werken, die Diego Riviera Detroit hinterließ, gesellen sich die einer Dame namens Mary Chase Perry (Stratton). Mary gründete 1903 Pewabic Pottery, eine der ältesten, durchgehend betriebenen Töpfereien der USA. Das Studio auf Detroits East Side, ist ein National Historic Landmark und ein Innbegriff für Handwerkskunst. Lauren McCoy, die im Pewabic Education Studio Workshops leitet, berichtet stolz, dass Mary „die Stadt dekorierte”. Im wahrsten Sinne des Wortes, denn die Fliesen, die hier hergestellt und bemalt werden, sind nicht nur in privaten Haushalten zu finden, sondern auch in zahlreichen ikonischen Gebäuden in Detroit. So auch im Detroit Institute of Arts: auf dem Fußboden des Rivera Court, als Dekoration des Brunnens und als Wandverzierung der „schillernden Nische” am Eingang zum Amerikanischen Flügel.
Geheimtipp: Unbedingt das Henry Ford Museum of American Innovation besuchen und jede Menge Zeit fürs Erkunden mitnehmen.
Anmerkung der Redaktion:
Die Reise wurde unterstützt von Visit Detroit.